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Leonard Lorenz

Dr Gert Ammann, Anmerkungen zum künstlerischen Schaffen von Leonard Lorenz

Selten regt die Begegnung mit einem bildhauerischen Werk so viele Sinne an, wie dies bei der Skulptur von Leonard Lorenz geschieht. Sei es im Gegenübertreten mit einem einzelnen Bildwerk, sei es in der beeindruckenden Atmosphäre seines Ateliers oder in der komplexen Dichte seiner Ausstellung: Immer spürt man die sensible Kreativität von Lorenz, vor allem aber die einfühlsame menschliche und geistige Dimension der Skulptur.

Die Auseinandersetzung mit der Figuration kennzeichnet Lorenz schon in seinen frühen Werken. Doch die Skulptur heute ist eigenständige, intensive, prägnante Formensprache. Es zeichnet Lorenz aus, diesen Neubeginn konsequent fortzuführen. Er versteht es, mit seiner Selbstkritik und seinem steten Hinterfragen, die Wesenszüge seiner Skulptur mit der geistigen und menschlichen Dimension zu verbinden. Die "Transparenz des Seins" ist eine seiner bislang letzten großen Skulpturen, die er kürzlich im Landtag in Klagenfurt präsentierte. Die in sich stabile und doch in mehreren Ebenen geöffnete Skulptur erweist sich als eine Möglichkeit der Begegnung, der Auseinandersetzung. Sie ist Symbol für eine grundlegende Einstellung des Künstlers: die geistig innere Haltung realisiert sich in der äußeren Form. In dieser Dialektik von Innen und Außen entsteht Veränderung und nur in deren Transparenz wird der Weg in die Entwicklung evident und möglich.

Der "weibliche Torso" vermittelt melodiöse Modellierung, die Markierung von Falten und Graten im Gegensatz zur Plastizität des Körpervolumens. Dieses Formenvokabular wird auch in der "Frau am Fenster" spürbar. Das Raumgefüge ist wie aus dem Lot geraten und fast wie eine florale dünnwandige Schale formuliert. Der Körper der Frau dehnt sich in die öffnung ein. Die plastische Formung von Kern und Raum, von "Schale und Kern" ist ein zentrales Thema für Lorenz. Nicht nur in der abstrahierten Form, auch in der literarischen Notiz "Davids Versöhnung mit Goliath" wird die motivliche Auseinandersetzung evident. Die "Auferstehung" erscheint als Schlüsselwerk zu neuen Dimensionen. Die Prägnanz des Körperhaften im Aufbrechen der Raumschale, das Bemühen um ein Entsteigen des Körpers aus einer komplexen Masse lässt das Ringen um Einbindung und Erneuerung offenkundig werden.

Für Leonard Lorenz ist die Bildhauerei auch immer Ausdruck des Menschlichen. In Kopfmodellierungen wie der "Vernetzung" oder prägnanten Gesichtern wie dem "König" oder dem "Innen-Blick" beeindrucken "andere" Wesenheiten: Es ist nicht Portraithaftigkeit, die hier vorherrscht, es ist das innere Gesicht, fast etwas Dämonisches, der Wirklichkeit des Daseins entrücktes. Herrschaftliches Gehabe, visionärer Blick, der Bezug zu maskenhaften Gesichtern anderer Kulturen lassen das Bemühen Lorenz um eine Verinnerlichung von menschlichen Zügen sichtbar werden.

Die Raumbezogenheit gewinnt immer mehr an Dominanz, die wie selbstverständlich in Erscheinung tritt. Die "Große Schreitende" entsteht in der körperhaften Gliederung der Formen in einzelne, sich ergänzende Passagen der menschlichen Figuration und erfährt durch den weit gezogenen Bogen eine neue Dimension. Das sprunghafte, fast tänzelde Schreiten wird durch das Ausschwingen der Verbindungslinie in eine andere optische Rhythmik gedrängt. Schließlich wird auch in der großen Skulptur "Angelpunkt" das großzügige Erleben einer vehement gesetzten Bildsprache augenscheinlich. Die extreme Auffassung von Spannkraft, die Verdichtung des Plastischen in der bewegungsreichen Gestik des Ausladens markiert die Distanz von Masse und Kugel. In einer ähnlichen Raumbezogenheit und einer ähnlichen Abstimmung zwischen statischem Fundament, Kugel und schwingendem Bogen erscheint die Skulptur "Hinter dem Horizont geht es weiter", die sowohl in einem neutralen Raum, als auch in der historisch geprägten Architektur ihre Spannung nicht verliert, in letzterer vielleicht noch mehr Effizienz gewinnt. Die Großskulpturen " Focus I" und "Focus II" schließen sich hier thematisch an, sind aber durch die Position im Freiraum oder in ihrer Bezogenheit auf eine tektonische Architektur elementarer dimensioniert. Diese raumgreifenden Skulpturen sind geistig von einer Brisanz aufgeladen, welche den inneren Arbeits- und Entwicklungsprozeß offenzulegen vermag. Dem Betrachter wird das Bemühen des Bildhauers deutlich um Sichtbarmachung raumbezogener Spannung von Elementen, um Einbindung und Vernetzung von Formen im Raum. Diese geistige Auseinandersetzung ist prägend dafür, daß Lorenz' Werke schon im ersten Eindruck eine bestimmte Aussage vermitteln.

Man hat sich daran gewöhnt, Leonard Lorenz nur als Bildhauer zu sehen. Doch auch in der Zeichnung spürt man eigenständiges Interesse des Künstlers, nicht nur ein Werkzeug im Arbeitsprozeß der Skulptur. Noch näher liegt aber die Berührung zum malerischen Werk. Etwa 1993 hat sich eine innere Krise auch in der Neufindung der Malerei kundgetan. In Bildern sucht Lorenz die inneren Zwänge zu entschlüsseln. Titel wie "Wasserfall der Seele", "Ent-faltung" oder "Zusammenspiel" machen deutlich, wie sehr sich Lorenz auf seine Ideenwelt konzentriert. Die Gemälde sind Interpretation seiner Gedankenwelt: Es sind dicht gemalte Tafelbilder, Anklänge an Landschaften und Natureinblicke, räumliches Formulieren, Licht- und Schattenpartien…innere Spannung, Lebensumstände, Selbsterkenntnis.

Doch zurück zur Skulptur. Die "Transparenz des Seins" ist bisheriges Resümee. Zwar läßt Lorenz dem Betrachter volle Freiheit der Interpretation doch soll an dieser Stelle seine eigene Intention zitiert werden: "Die Skulptur strahlt für mich trotz aller formalen Strenge deutliche Transparenz aus. Sie zeigt Licht und Schatten sowie eine betont vertikale und horizontale Linienführung. Die Figur wirkt schützend, als wäre sie sich selbst zur Heimat geworden. Sie reißt die Barriere zwischen Subjekt und Objekt nieder und schafft so die Möglichkeit von Nähe. Vergangenheit und Zukunft lösen sich im Jetzt auf, im Gegenwärtigen, in dem jegliches kreatives Potential liegt. Realitätssinn und Vision gehören zusammen, so wie wir einatmen und ausatmen."

Dieses Ein- und Ausatmen, dieses Aufnehmen und Verarbeiten wird zu einer Notwendigkeit bei der Begegnung mit dem künstlerischen Werk von Leonard Lorenz – nicht nur Notwendigkeit sondern begeisterndes Bedürfnis.

Dr. Gert Ammann
(Direktor des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Innsbruck)